Offener Brief an den Vorstandsvorsitzenden der DB-AG

Folgenden offenen Brief schrieb der Lokführer Bernreither an seinen Chef, Hartmuth Mehdorn:

Oktober 2007
Sehr geehrter Herr Dr. Mehdorn,

am 13. September erreichte mich Ihr Brief vom 4. September über meinen privaten Briefkasten.
Aus dieser Tatsache leite ich ab, dass dieser Brief als persönliches Schreiben Ihrerseits an mich gemeint ist.
Daraus ergibt sich für mich, schon aus Höflichkeit - aber nicht nur deswegen - das Bedürfnis, Ihnen zu antworten.
Damit diese meine Antwort nicht im Verwaltungsdschungel verloren geht, wird es ein Offener Brief werden.
Nun möchte ich mich kurz vorstellen:
Mein Name ist Gerhard Bernreither. Ich bin seit 1.Mai 1990 in Ihrem Unternehmen tätig und gehöre zu der von Ihnen in besagtem Schreiben angegriffenen Berufsgruppe der Lokführer (Wenn es nach den Richtlinien Ihres Unternehmens geht, EISENBAHNFAHRZEUGFÜHRER. Was für eine Schöpfung!).
Ich arbeite in der Güterverkehrssparte in Ingolstadt.
Es sind mit der Zeit verschiedene Probleme entstanden, die ich, ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, nur kurz andeuten möchte. Denn ich habe nicht die Zeit ein Buch über die Zustände bei der Eisenbahn zu schreiben und Sie haben vermutlich nicht die Zeit ein solches zu lesen.
Deshalb werde ich zu folgenden Problemkreisen einige Denkanstöße liefern:
Bezahlung der Lokführer
Arbeitsbedingungen der Lokführer
Umgang des Unternehmens mit der Mitbestimmung
Umgang des Unternehmens mit Arbeitnehmerschutzgesetzen
Betriebliche Abläufe – alle Jahre wieder

Beginnen wir bei dem für Sie wichtigsten, quasi bei der Titelmelodie Ihres Briefes, der Bezahlung.
Ich will mich hier nicht auslassen über die Entwicklung der Vorstandsgehälter, da ich denke, dass Sie Manns genug sind, sich darüber einmal selbst in der „Bahnzeit" zu äußern.
Ich rede also über die von Ihnen und Ihrer „Partnergewerkschaft" Transnet, deren Mitglied ich übrigens zur Zeit auch noch bin, behauptete Erhöhung von 4,5%. Ist Ihnen bekannt, dass mir als Lokführer die Jahresarbeitszeit von 1984 Stunden auf 2087 Stunden erhöht wurde? Natürlich ist es Ihnen bekannt, denn so etwas geht nicht gegen den Chef und ohne Tarifpartner. Damit hätten wir zunächst eine Lohnsenkung von 5% nachgewiesen.
Ist Ihnen bekannt, dass mir ein Urlaubstag gestrichen wurde? Natürlich ist es Ihnen bekannt, denn s. o. – wieder ein Prozent.
Ist Ihnen bekannt, dass meine famose Interessenvertretung, der mehrheitlich von der Transnet gesteuerte Gesamtbetriebsrat, mit dem Management eine Betriebsvereinbarung geschlossen hat, die es, vorbei an jeglichen gesetzlichen Bestimmungen, erlaubt, Schichten mit bis zu 14 Stunden zu planen, wobei dann der AN (AN=Arbeitnehmer, Anmerkung Webmaster) zwei Stunden unbezahlt als „Pause" zu übernehmen hat? Sicher ist es Ihnen bekannt. Das sind wieder einige Zehntelprozent übers Jahr.
Dazu nehmen wir noch einen (zu optimistischen) Satz von zwei Prozent Teuerung und unser fantastischer Abschluß mit Transnet und Gdba ist als herrliches Geschenk an Sie entlarvt.
Soweit die Fakten.
Nun noch etwas zu den Diskussionen über die Lokführergehälter an sich.
Die o.g. effektiven Lohnabzüge hat es nur bei den Lokführern gegeben. Haben Sie etwas gehört von Protesten anderer Berufsgruppen zu einer derartigen Behandlung der Lokführer?
Wer hat hier das Recht, von Solidarität aller Beschäftigten zu reden?! Und was kommt aus Ihrem Hause?
Ihr zuständiger Personalvorstand äußert sich etwa so:
- die sind doch freiwillig Lokführer
- macht eh alles die Technik
- falls mir ein Externer klarmacht, dass die Lokführer falsch eingruppiert sind, wird das sofort geändert
Während die ersten beiden Beispiele nur von Unkenntnis (und ein wenig herumspielen auf dem Simulator) zeugen und somit ungefährlich bis lächerlich sind, gibt es zur dritten Aussage tatsächlich Fragen.
Übrigens empfehle ich für weitere Übungen des höheren Managements auf dem Fahrsimulator, einmal nicht mit 300 km/h auf dem Linienleiter zu fahren. Einen wesentlich höheren Erkenntniszuwachs brächte es, sich einen Güterzug bei Nebel und Laubfall zu bestellen und so eine Fahrt nicht unter zwei Stunden dauern zu lassen.
Wessen Aufgabe ist es denn, dafür zu sorgen, dass die Gehaltsstruktur im Konzern stimmt?
Wer verdient denn nicht gerade schlecht dafür?
Wieviel verdient denn eine (einfache, nicht die des Chefs) Sekretärin in der Zentrale?
Wieso soll jemand Externer die Arbeit des Personalvorstandes und seiner Organe machen?
Schicken Sie Ihren Personalvorstand doch einfach auf Dienstreise durch Westeuropa (nicht nach Litauen oder Rumänien) zur Erkundung der Höhe und der Einordnung der Lokführergehälter.
Man weiß schließlich: Reisen bildet und hier ist wohl noch einiges offen.
Es geht aber auch billiger über die Nutzung des Archivs der Bildzeitung.

Ich komme nun zu den Arbeitsbedingungen der Lokführer.
Arbeitsumfang:
Dass nach der Bahnreform die Arbeitsaufgaben der Lokführer dramatisch gestiegen sind (korrekte Formulierung wäre „gesteigert wurden"), wissen wir alle.
Der Lokführer übt noch so etwa fünf weitere Tätigkeiten aus, die früher durch andere erledigt wurden (Beispiele: Tankwart, Zugführer, Rangierleiter, Teil-Tfz-Wart – Sand laden, Fenster putzen, Teil-Wagenmeister, Scheibendreher, Bw-Obmann).
Arbeitsbedingungen:
Fahrzeuge:
Alle Jahre zum Herbst hin kommt es vor, dass auf zahlreichen Fahrzeugen die Heizungen nicht richtig funktionieren und verschlissene Dichtungen vorhanden sind, welche zu Zugluft führen. Ich kann nicht beurteilen, ob es bei der DBAG eine spezielle Kampagne zur Winterbereitschaft der Tfz gibt. Wenn ja, so ist jedenfalls die Wirkung mäßig.
Strecken:
Ich habe es inzwischen aufgegeben, Meldungen von unterwegs zu schreiben, mit der Bitte, die Vorsignale freizuschneiden. Alle Jahre wieder haben wir das gleiche Problem.
Sie können sich sicher vorstellen, was gerade im Güterzugdienst ein frühzeitiges Erkennen der Stellung eines Vorsignals für eine energiesparende Fahrweise bedeutet.
Dienstwege:
Die Dienstwege auf kleineren Güterbahnhöfen sind im Durchschnitt ungepflegt (Bewuchs, Eis, Schnee, Beleuchtung). Sicherheitseinrichtungen werden demontiert um Wartungsaufwand zu sparen (Beispiel Bohlenweg Würzburg Hbf).
Versorgung:
Kantinen auf Cargobahnhöfen haben Öffnungszeiten, die nicht auf einen durchgehenden Betrieb abgestimmt sind (Nürnberg, München Nord). Es sind zwar Automaten aufgestellt, aber deren Preise haben nichts mit einer Sozialeinrichtung eines Großkonzerns zu tun, sondern sie sind skandalös.
Kantinen werden geschlossen (letztes Beispiel Bebra), wenn sie sich nicht „rentieren". Die Frage ist nun, wenn Sozialeinrichtungen nur betrieben werden, wenn sie sich rentieren, wann werden dann die Toiletten der Betriebshöfe privatisiert und wann werden sie letztendlich geschlossen?
Arbeitszeiten:
Die Arbeitszeiten sind im einschlägigen Gesetz vorgeschrieben und zwar als Mindestanforderungen.
Es ist Ihnen nicht verboten, mit Ihrem Personal besser umzugehen.
Es ist mir allerdings ein Rätsel, wie die Tarifparteien Arbeitszeiten für das Fahrpersonal festlegen können, die einen glatten Rechtsbruch darstellen. Von einem deutschen Spitzenmanager wie von deutschen Gewerkschaften erwarte ich, dass sie sich penibel an das Rechtssystem halten. Das gilt übrigens auch für Rechtsvorschriften zum Streikrecht und zur Dienstverpflichtung von Personal.
Nur weil der betreffende Mensch ein Fahrpersonal ist, ist er doch biologisch gleichwertig zu anderen Arbeitnehmern und verdient deshalb den gleichen Schutz.
Im Gegenteil, er ist wahrscheinlich anfälliger als der in Normalschicht arbeitende Kollege.
Das könnte unter anderem daran liegen, dass bei der DBAG Schichtpläne aufgestellt werden, die einfachsten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen Hohn sprechen.
Dazu gehören rückwärts rotierende Schichtanordnungen, Zuteilung der Ruhezeiten nach Minuten, Schichtlängen über zehn Stunden, Schichtlängen bis zu vierzehn Stunden, täglich andere Beginn- und Endezeiten mit dadurch bedingtem ständigen Wechsel im Lebensrhythmus.
Man fragt sich schon manchmal, welche Zwänge dafür seitens des Betriebes dahinter stehen sollen. Zumindest sind sie sehr schwer zu erkennen.
Um möglichst wenig Rücksicht auf das Arbeitszeitgesetz nehmen zu brauchen, hat man sich verschiedene Instrumente zur Erhöhung der Flexibilität geschaffen. Da wären zum Beispiel die nirgends im Arbeitsrecht definierten Begriffe der schutzwürdigen Arbeitszeit, der nichtschutzwürdigen Arbeitszeit und der Tätigkeitsunterbrechung.
Es gibt Arbeitszeit, Pausenzeit und Freizeit, Ende.
Auch hier hat die mich vertretende Gewerkschaft einen hohen Anteil an der über die Arbeitszeitregelungen gestülpte Dunstglocke. Ich kann nur hoffen, dass Ihr neuer Verhandlungspartner zum Tarifvertrag für Lokführer hier etwas unabhängiger agiert und sich nicht von Drohungen Ihrerseits zur Zerschlagung bestimmter Unternehmensbereiche beeindrucken lässt.
Symptomatisch für den Verhandlungsstil der Transnet sind die Formulierungen im Tarifvertrag, bei denen es fast keine solche ohne Ausnahmebestimmung gibt.
Das heißt nichts anderes, als dass die Rechtssicherheit für den Arbeitnehmer minimal ist und die Möglichkeiten, den Lokführer in Bezug auf die Einhaltung seines Schichtendes wie eine Sache zu behandeln, für das Unternehmen höchst komfortabel gestaltet wurde.
Darauf aufgesetzt wurde dann Mitte diesen Jahres noch die „GBV zur Ad hoc Disposition", mit der regelrecht feudalistische Verhältnisse hergestellt wurden (Weisung BW-C-014/2007).
Dieses Machwerk dokumentiert zweierlei:
Erstens hat die dafür zuständige Rechtsabteilung dringenden geistigen Renovierungsbedarf.
Zweitens, und viel schlimmer, haben diejenigen, die sich so etwas ausdenken, sich zur Unleitbarkeit ihres Betriebes bekannt.
Beispiel: Den Rangierbahnhof Nürnberg verlassen nur noch wenige dort gebildete Güterzüge planmäßig. Das liegt unter anderem daran, dass die Züge von den Wagenmeistern nicht planmäßig abgefertigt werden können. Irgendwann hat man nämlich Wagenmeister eingespart und dafür wahrscheinlich auch noch Prämien bezahlt. So fahren wir halt eine Stunde später, der Lokführer hängt das eben an seine Dienstzeit an.
Welchen Sinn macht es, wenn ich erst ein Dankschreiben wegen des Einsatzes beim Sturm „Kyrill" bekomme und ein paar Wochen später teilt man mir in dieser Weisung mit, dass man mich dienstverpflichten könne?
Da muß man ja wohl davon ausgegangen sein, dass es Tausenden meiner Kollegen und mir an Motivation fehle.
Natürlich ist es blanke Hochstapelei, wenn man zu solchen Mitteln greift. Oder ist eine CLS (Cargo – Leitstelle) inzwischen ein Verfassungsorgan geworden, kann Notstandsgesetze aktivieren und ich habe etwas verpasst?
Das ist ein Riesenskandal, was sich die Unternehmensführung hier herausnimmt und was von dieser „Gewerkschaft" Transnet abgesegnet wird und es ist an der Zeit , die Öffentlichkeit einmal über solche Vorgänge zu informieren.
Mitbestimmung:
Es werden in monatelangen Streitgesprächen zwischen Unternehmen und Betriebsrat die einzelnen Dienstpläne und Dienstschichten ausgehandelt. Das geschieht immerhin auf höchster Ebene der Arbeitnehmervertretung. In der täglichen operationellen Durchführung der Produktion kümmert sich niemand mehr um derartige Festlegungen. Es wird einfach behauptet, dass die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter nachträglich eingeholt werde. Auf gut deutsch: Die Mitbestimmung in diesem Unternehmen im Bereich des Einsatzes der Lokführer ist eine Farce. Ein Unternehmen, dessen Besitzer der Staat ist!!!
Sie wissen es so gut wie ich:
Wenn die materiellen Voraussetzungen nicht ausreichend sind, können Sie sich noch so viele administratorische Freiheitsgrade verschaffen, so werden Sie kein Problem lösen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Gerhard Bernreither
Personalnummer 00607407

P.S. Ich bitte Sie herzlich, Ihrem Personalvorstand bei Gelegenheit einmal den Unterschied zwischen dem Straftatbestand der Erpressung und einer durch die Freiheitlich Demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland legalisierten Arbeitskampfmaßnahme erläutern zu lassen.



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