Regelsatzerhöhung JETZT

Rainer Roth

Kinderarmut fördern mit Hartz IV

(Frankfurt 27.02.2008)

I)
Peter Hahne, ein Mitglied des Rats der Evangelischen Kirche Deutschlands, der Bundesregierung der Protestanten, schrieb in BILD: "Es gehört zu den größten Skandalen unserer Wohlstandsgesellschaft, dass in unserer reichen Republik fast zwei Millionen Kinder in ärmlichen Verhältnissen leben. Eine Entwicklung, die uns teuer zu stehen kommt, denn die Kinderarmut von heute ist die Altersarmut von übermorgen." (23.08.2007) Ihn interessiert die Kinderarmut, weil sie teuer ist, also Geld kostet.

Hahne untertreibt wie allgemein üblich den Umfang der Kinderarmut. * Auf zwei Kinder, die als Hartz IV-Empfänger registriert sind, kommt nämlich noch ein Kind aus einer Familie, die trotz Berechtigung keinen Antrag gestellt hat. (1)
* Die Zahl von "fast zwei Millionen" bezieht sich nur auf Kinder unter 15. Die Kinder von 15 bis 17 müssen noch dazu gerechnet werden. Es dürften noch einmal 400.000 Kinder im Hartz IV-Bezug sein plus 200.000, für die kein antrag gestellt wurde.
* In ärmlichen Verhältnissen leben auch Kinder, deren Familien knapp über dem Hartz IV-Niveau liegen, z.B. die 125.000 Kinder, die Hartz IV durch den Kinderzuschlag knapp entronnen sind. So gesehen kommen wir auf über 3,5 Mio. Kinder unter 18, die in Armutsverhältnissen leben. Jedes vierte minderjährige Kind lebt in Armut.
In Großstädten leben in Westdeutschland ein Drittel, in Ostdeutschland die Hälfte der Kinder unter 15 in Armut. (2)
In Frankfurt sind es ein Drittel der Kinder unter 15 oder rd. 30.000 Kinder.

Hahne nennt die Kinderarmut einen Skandal, obwohl BILD die Haltung der Bundesregierung und der Regierungsparteien teilt, dass Hartz IV das soziale Existenzminimum abdeckt. "Die Regelleistung bildet das soziokulturelle Existenzminimum ab und umfasst auch die Ausgaben für die Nutzung von Verkehrsdienstleistungen im Schienen- und Straßenverkehr, Nahrungsmittel sowie Schulmaterial." (3) Seit wann ist es ein Skandal, das soziale Existenzminimum abzudecken? Auch Frau von der Leyen bringt es fertig, Stimmungen aufzugreifen und die Kinderarmut als "eines der beschämendsten Probleme" (FAZ 14.09.2007) in Deutschland zu bezeichnen, hält aber die Regelsätze von Hartz IV voll für ausreichend.

Auch die Kommission bei Parteivorstand SPD "Gleiche Lebenschancen für jedes Kind - Kinderarmut bekämpfen" unter der Leitung des niedersächsischen Spitzenkandidaten Wolfgang Jüttner versicherte Anfang 2008 in ihrem Berichtsentwurf über das Ergebnis der bisherigen Beratungen: "Das Existenzminimum muss gesichert sein. Bisher geschieht dies durch (u.a.) ... Regelsätze für Kinder im Arbeitslosengeld II (Alg II) ..." (Manuskript Stand 03.01.2008, 9) Die hessische Spitzenkandidatin Ypsilanti dürfte derselben Meinung sein. Die Rechtfertigung des Elendsniveaus von Hartz IV steht im Mittelpunkt.

II)
Was bedeutet: "Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums" mit Hartz IV
Der Regelsatz von Kindern unter 14 beträgt 208 Euro, der von 14-17-Jährigen 278 Euro. Die folgenden Zahlen beziehen sich der Einfachheit halber nur auf Kinder unter 14.

a) Für Verkehrsdienstleistungen stehen 1,96 Euro pro Woche zur Vergügung oder 8,47 im Monat. Das reicht in Frankfurt nicht einmal für eine Kurzstrecke pro Woche hin- und zurück.
Für den Besuch von Freizeit- und Sportveranstaltungen gibt es 0,87 Euro pro Woche.
"Soziales Existenzminimum sichern" heißt: sichern, dass Kinder zu Hause bleiben.

b) Für Nahrungsmittel und nicht alkoholische Getränke sind 2,28 Euro pro Tag oder 16 Euro pro Woche vorgesehen. Dazu kommen 0,29 Euro für Genussmittel pro Tag oder rd. 2 Euro pro Woche.
Nach einer Studie der stv. Leiterin des Dortmunder Forschungsinstituts für Kinderernährung, Mathilde Kersting, ist es mit diesem Betrag allenfalls möglich, Kinder unter 6 Jahren gesund zu ernähren. "Das Modell der Optimierten Mischkost für Kinder und Jugendliche zeigt, dass selbst eine preisbewusst konzipierte, gesunde Ernährung mit dem derzeitigen Betrag, der im Arbeitslosengeld II für Ernährung bei Kindern und Jugendlichen veranschlagt wurde, bei gängigem Einkaufsverhalten ab dem Schulalter nicht zu realisieren ist." (4) Nicht zu realisieren heißt, dass für gesunde Ernährung das Doppelte von dem zur Verfügung stehen müsste, was im Regelsatz enthalten ist. (vgl. Tabelle im Flugblatt "Hartz IV - Mangelernährung und Isolation für Millionen - www.rhein-main-buendnis.de) Bioprodukte wären aber auch dann nicht drin.

"Soziales Existenzminimum sichern" heißt: Mangelernährung sichern.

4,93 Euro im Monat oder 1,14 Euro pro Woche steht einem Kind unter 14 für "Verzehr außer Haus" zur Verfügung. Nur der reine Nahrungsmittelanteil wird als "regelsatzrelevant" akzeptiert, nur mit einem Drittel der realen Ausgaben der unteren Verbrauchergruppen veranschlagt wird. Ins Cafe gehen, wird als Luxus betrachtet. Hartz IV-ler sollen zu Hause bleiben, auch wenn die Erderwärmung noch so schönes Wetter bringt.

"Soziales Existenzminimum" nach Art der Bundesregierung sichern, heißt: Isolation sichern.

c) Schulmaterial
Wie kann Schulmaterial im Regelsatz enthalten sein,
* wenn die Verbrauchsausgaben von Erwachsenen Grundlage der Regelsatzbemessung sind und Kinder unter 14 wie 60%-ige Erwachsene behandelt werden? Die Hälfte der Alleinstehenden, deren Verbrauchsausgaben die Grundlage des Regelsatzes bilden, sind RentnerInnen über 65, die die Schule schon 40-50 Jahre hinter sich haben. (5) Wie kann Schulmaterial im Regelsatz enthalten sein,
* wenn der Regelsatz für Schulkinder unter 14 mit Hartz IV auf das Niveau von Säuglingen heruntergekürzt wurde? Mit Schuleintritt steigt der Regelsatz nicht mehr wie vor Einführung von Hartz IV, sondern bleibt gleich. Eine Erstausstattung ist nur bei Geburt möglich, nicht bei Schuleintritt. Die Kosten führen zu einer direkten Regelsatzkürzung der Schulkinder. So sieht Fördern nach Art von Hartz IV aus.

"Soziales Existenzminimum sichern" nach Art von CDU und SPD bedeutet: Nichtanerkennung der Kosten, die mit der Schulpflicht verbunden sind.

d) Leben mit Hartz IV
bedeutet ferner, dass der Kinderregelsatz meist gar nicht in der auf dem Papier stehenden Höhe zur Verfügung steht. Wenn die Regelsätze bewusst nicht mit der Inflation, sondern nur mit dem an die Lohnentwicklung gekoppelten Rentenwert erhöht werden, sinken auch die Kinderregelsätze. "Politisch lässt sich eine solche versteckte Kürzung leichter durchsetzen," lobte die FAZ die Große Koalition. (17.10.2006, 14) Wenn die realen Stromkosten nur zu zwei Dritteln anerkannt werden, spüren das auch Kinder. Wenn die Ausgaben für Handys nicht regelsatzrelevant sind, ebenfalls. Wenn Unterkunftskosten, Heizkosten, Gesundheitskosten, Kontoführungsgebühren usw. in mehr oder weniger großem Umfang in "Eigenverantwortung" getragen werden müssen, kürzt das auch die Regelsätze von Kindern. Eigenverantwortung ist teilweise auch ein beschönigender Begriff für indirekte Regelsatzkürzung.
Und so sind denn am Ende des Geldes im Durchschnitt noch zehn Tage übrig. Vorschlag: die Bundesregierung sollte beschließen, den Monat für Hartz IV-Empfänger auf drei Wochen zu verkürzen. Dann käme man eher hin.

Das Elendsniveau von Hartz IV ist in der letzten Zeit vor allem in Bezug auf Kinder auf Kritik gestoßen und hat Forderungen nach einer Erhöhung der Regelsätze ausgelöst.
Um die Kritik abzufangen, dachte selbst Müntefering selig 2007 zeitweilig über eine Erhöhung des Regelsatzes für Kinder um zehn Euro nach. Allerdings machte er die Erhöhung von einer Zustimmung der CDU zu einem gesetzlichen Mindestlohn abhängig. Die bekam er natürlich nicht. Der Vorschlag war nur ein taktisches Spiel. Maßnahmen gegen Kinderarmut dienen als Marketing-Mittel in der Konkurrenz der Parteien des Kapitals untereinander.
Statt auf die Notwendigkeit der Erhöhung der Regelsätze für Schulkindern lenken die Hartz IV-Parteien die Aufmerksamkeit auf andere Fragen. (Übrigens: die einzig wirkliche Hartz-Partei ist die SPD, weil Hartz ja immer noch SPD-Mitglied ist.)

III)
Die Eltern sind an der Armut ihrer Kinder schuld,
nicht die Regierungsparteien

Das Ministerium von Frau von der Leyen schrieb in einem Brief an die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen: "Die Pauschalierung der Leistungen stärkt die Selbstverantwortung der Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher, denn durch Ansparen oder Verringerung der Ausgaben in einem Bereich können höhere Ausgaben in einem anderen Bereich getätigt werden. Auf diese Weise können beispielsweise auch höhere Anschaffungen zu Schuljahresbeginn ausgeglichen werden." (Brief vom 10.04.2007)

Kein Problem: Ein paar Wochen beim Essen sparen, um den Schulranzen zu finanzieren, hat noch niemandem geschadet. Wenn Kinder vorm Fernseher sitzen, müssen sie auch nicht außer Haus und können so wieder Geld einsparen.
Wenn also die 150 Euro für Einschulungskosten nicht von einem auf 208 Euro gekürzten Regelsatz bezahlt werden, sind die Eltern selbst schuld. Sie sind eben unfähig, der Eigenverantwortung gegenüber ihren Kindern nachzukommen.
Das stellt die Dinge völlig auf den Kopf.
Nicht die Eltern in Armutsfamilien haben ihren Kindern Geld entzogen, sondern die Hartz-Parteien. Mit Einführung von Hartz IV wurde das Leistungsniveau von 7 bis 13-Jährigen von im Schnitt 232 Euro (Regelsatz plus rd. 20% für einmalige Beihilfen) auf 208 Euro gekürzt, das von 14-17-Jährigen von 319 Euro auf 278 Euro, immerhin um mehr als zehn Prozent.
In den um 24 bzw. 41 Euro gekürzten Beträgen sollen die früheren einmaligen Beihilfen für Schulmaterialien und Einschulung dennoch voll enthalten sein. Das leuchtet doch jedem Deppen ein? Schulkindern wurden auch die Mittel für Essen und Trinken gekürzt. Von 2,82 pro Tag auf 2,28 pro Tag. Vom Essen für Schulmaterial ansparen, ist schwieriger geworden.

Das Leistungsniveau für Schulkinder bis 14 ist von den Hartz-Parteien auf das Niveau von Säuglingen abgesenkt worden. Säuglinge und 13-jährige bekommen beide 208 Euro.

Aber: Kinder zwischen 7 und 13 Jahren brauchen im Schnitt 2.050 kcal. Ein Einjähriger braucht nur 950 kcal. Je älter Kinder werden, desto größer werden sie, sie nehmen an Gewicht zu und brauchen mehr Energie in Form von Kilokalorien. Sie haben höheren Kleiderbedarf und aufgrund wachsender Mobilität ebenfalls einen höheren Bedarf in der Freizeit. Mit Einführung des Bundessozialhilfegesetzes 1962 wurde diese Selbstverständlichkeit anerkannt. Schulkinder ab sieben hatten in der alten Sozialhilfe auch zuletzt noch 20% mehr als Kinder unter sieben. Die Durchschnittsfamilie gibt nach Untersuchungen des Statistischen Bundesamts für Kinder von 6 bis 12 Jahren ebenfalls 20% mehr aus als für Kinder unter 6.
Die Hartz IV-Parteien erkennen den Wachstumsbedarf von Schulkindern nicht mehr an. Sie gehen damit zurück in die Zeit von Weimar, des Hitlerfaschismus und der Nachkriegszeit, in der allen Kinder unter 16 dergleiche Bedarf zugerechnet wurde.
Der reale Bedarf von Schulkindern spielt keine Rolle mehr. Schulkinder sollen seit Hartz IV für ihr Wachstum selbst verantwortlich sein. Der Sozialstaat will damit nichts mehr zu tun haben.
Eine Sprecherin des BMAS erklärte: "Werden die Kinder größer und brauchen mehr Geld für Essen, besteht ja die Möglichkeit, auf etwas Anderes zu verzichten." ("Zu arm für gesundes Essen", Apotheken-Umschau 02/08, 11)
Vorschlag: Für die höheren Kosten von Schulkindern können ihre Eltern schon im Vorschulalter ansparen.
Oder: die Kinder passen sich den staatlichen Vorgaben an und stellen ihr Wachstum bis zum 14. Lebensjahr ein, um dann mit den jetzt gezahlten 278 Euro alles nachzuholen, auf das sie vorher verzichtet haben.

Eine andere Sprecherin erklärte: "Nach den vorliegenden statistischen Erkenntnissen werden die in der Regelsatzverordnung enthaltenen Abstufungen der Lebenssituation von Kindern im Regelfall gerecht. ... Insoweit sind insbesondere die Ernährungsbedarfe gedeckt." (Bundesministerium für Arbeit und Soziales - BAMS, Brief an das Rhein-Main-Bündnis vom 19.07.2007)
Die statistischen Erkenntnisse des Statistischen Bundesamts aus der EVS 2003 sagen aber, dass z.B. die Ernährungsausgaben von 7 bis 13-jährigen etwa 30% höher sind als die für unter 7-jährige. (6) Insbesondere die Ausgaben für Freizeit sind bei 6-12-Jährigen um ein Drittel höher als bei unter 6-jährigen. (6)
Wachstumsbedarfe nicht anerzukennen, wird der Lebenssituation von Kindern also gerecht. Wenn sich also Eltern beklagen, haben sie etwas falsch gemacht, nicht die Regierungsparteien.

Weiter: "Die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, dass Kindern aus sozial schwachen Familien (sozial schwach ist allenfalls die Bundesregierung selbst!) aufgrund der leistungsrechtlichen Regelungen des ... SGB II nicht die gleichen Bildungsmöglichkeiten wie anderen Kindern offenstehen würden." (7) Auf Deutsch: die staatlich verordnete Mangelernährung für Schulkinder, Isolation und die Verweigerung der Schulkosten beeinträchtigt nicht ihre Bildungsmöglichkeiten. Kinder, die sich davon in ihrer Entwicklung behindern lassen, sind selber schuld. Auch sie sind für sich selbst verantwortlich.

Die Kinderfreunde des Familienministeriums gehen noch weiter: "Die Bundesregierung stellt die Förderung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen und deren Familien in den Mittelpunkt ihres Handelns. Alle Kinder und Jugendlichen sollen von Anfang an gleiche Chancen haben, ihre vielfältigen Talente zu entwickeln." (Politik für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft - Politik für Kinder und Jugendliche 23.04.2007)
Die Kürzung der Regelsätze für Schulkinder aus Armutsfamilien soll also von Anfang an dazu dienen, die Chancengleichheit zu fördern und Talente zu entwickeln. Denn das steht ja im Mittelpunkt. In der Tat, das Talent irgendwie zu überleben, wird durch die Bundesregierung auf jeden Fall gefördert.
Übrigens: Auch Jugendlichen von 14 bis 17 ist der Wachstumsbedarf mit Hartz IV zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte aberkannt worden. Sie bekommen jetzt nur noch soviel wie Erwachsene, nämlich 80% statt wie vorher 90% des Eckregelsatzes. Durch diese Art der Förderung können auch sie ihre Talente besser entwickeln.
SPD und CDU verringern die Bildungschancen der Kinder aus Armutsfamilien und preisen sich selbstgefällig als Parteien, die die Chancengleichheit verwirklichen.
Aber: unabhängig von der Höhe des Regelsatzes: In einer Klassengesellschaft, in der Millionen Familien von Armutslöhnen leben, in Existenzunsicherheit und beengten Wohnverhältnissen, in Unwissenheit gehalten durch die Medien, die Parteien des Kapitals und das Bildungssystem, eingeschüchtert durch die Abhängigkeit von den Käufern ihrer Arbeitskraft, kann es für die Kinder, die in solchen Verhältnissen leben, keine gleichen Bildungschancen mit den Kindern der Familie von Frau von der Leyen und ihresgleichen geben.

Das Mindeste, was zu fordern wäre:
der Wachstumsbedarf von Schulkindern muss wieder anerkannt werden. Das bedeutet:
Kinder von 7 bis 13 müssen 20% mehr bekommen als Vorschulkinder, also 252 Euro.
Jugendliche zwischen 14- und 17 müssen wieder 90% des Eckregelsatzes bekommen, also 312 Euro statt 278.
Hier muss überhaupt erst mal Druck aufgebaut werden. Denn auch über 3 Jahre nach Einführung von Hartz IV spielt die Kürzung der Regelsätze von Schulkindern bei denen, die gegen Sozialabbau kämpfen, so gut wie keine Rolle. Man nimmt eben Rücksicht auf die SPD.

Müntefering versicherte: "Wir denken von der Interessenlage der Kinder her (das ist eindeutig, wie wir gesehen haben) und prüfen deshalb auch, ob im Bereich solcher konkreter Hilfen die tatsächliche Armut der Kinder nicht besser als mit reinen Zahlbeträgen reduziert werden kann." (FR-online 19.09.2007) Mit anderen Worten: Die Kürzung der Regelsätze für Schulkinder soll nicht zurückgenommen werden. Sie soll nur teilweise gelindert werden, z.B. bei Einschulungen oder wenn es in Schulen Mittagessen geben sollte, was ja meistens nicht der Fall ist.
Angedacht sind ein sogenanntes Schulstarterprogramm bzw. die Erstausstattung mit Schulbüchern ab 2009 oder gebührenfreies oder günstigeres Essen in der Schule. Sachleistungen statt Geldleistungen ist die Devise.
"Von der Interessenlage der Kinder her" denken heißt aber vor allem, die Eltern zu verdächtigen, erhöhte Zahlungen an Schulkinder für ihre eigenen Bedürfnisse zu verwenden. "Wenn ich mit meinen Steuern Kindern aus der Armut helfen will, möchte ich weder den Flachbildschirm noch den Alkoholkonsum der Eltern finanzieren." (Peter Hahne in BILD vom 23.08.2007)
Auch Hahne plädiert deshalb für Sachleistungen z.B. über Gutscheine. In seinem Buch "Ende der Spaßgesellschaft" fordert Hahne die Rückkehr zu verbindlichen christlichen Werten. An der Kürzung der Regelsätze für Schulkinder festzuhalten, scheint zu dieser christlichen Neubesinnung zu gehören. Motto: Darf es etwas weniger sein?

IV)

Die wirklichen Ursachen für den Sozialabbau bei Schulkindern
Die Höhe der Regelsätze gilt dem Kapital und seinen Parteien als Fehlanreiz, der Arbeitslosigkeit verursacht. Eine vierköpfige Familie käme auf ein Einkommen von bis zu 1.500 Euro, erklärte z.B. der SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend. "Dies schaffe falsche Anreize." (FTD 12.06.2006) Auf Deutsch: Wer als Arbeitsloser so viel Geld für seine Familie bekommt, hat keinen Bock mehr zu arbeiten. Die Leistungshöhe ist ein "falscher Anreiz" oder "Fehlanreiz". Vor allem der Umstand, dass Hartz IV Regelleistungen für Kinder vorsieht, soll angeblich für die Faulheit der Eltern verantwortlich sein.
Arbeitslose dürfen sich nicht besser stellen als Arbeitnehmer, erklärte der Christdemokrat Öttinger, der Automobilpräsident aus Baden-Württemberg. (FTD ebda.)
Hier liegt in der Tat ein für das Kapital unlösbares Problem. Denn viele Unternehmen zahlen Löhne, in denen kein Cent für die Unterhaltungskosten des Nachwuchses der heutigen Arbeitskräfte, der Kinder, enthalten ist. Hartz IV aber erkennt die Notwendigkeit von Unterhaltungskosten für Kinder noch an. Das ist nicht selbstverständlich.
Bis in die 50er Jahre galt, dass Fürsorgeleistungen unabhängig von der Zahl der Kinder in einem Haushalt in der Regel nicht höher sein durften als 80-85% des Lohns eines ungelernten städtischen Arbeiters. Das war die sogenannte Auffanggrenze. Kinder galten als Privatsache. Da dieser Standpunkt seinen grundlegenden Interessen entspricht, strebt das Kapital heute wieder in diese Richtung.

Das Hartz IV-Niveau eines alleinstehenden Vollzeitbeschäftigten liegt bei 945 Euro, wovon 665 Euro auf Regelsatz (347 Euro) und Warmmiete (318 Euro) entfallen und 280 Euro auf den Freibetrag vom Erwerbseinkommen, der dazu dient, die Werbungskosten und und den Mehrbedarf bei Erwerbstätigkeit abzudecken. Auch ein gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro würde unterhalb des Hartz IV-Niveaus liegen, wäre also in dieser Hinsicht ein Armutslohn.
Rd. 5,5 Mio. Erwerbstätige oder rd. 18% der Erwerbstätigen verdienen nach einer Berechnung des Instituts für Arbeit und Qualifikation unter 7,50 Euro pro Stunde. (FR 08.12.2007)

Ein gesetzlicher Mindestlohn von zehn Euro würde mit 1.120 Euro netto zwar rd. 200 Euro über dem Hartz IV-Niveau liegen.
Aber: auch dieser Lohn deckt nicht die Kosten des Nachwuchses der Arbeitskräfte ab. Die Kinder müssen aber doch in Familien großgezogen werden, bis ihre Arbeitskraft so weit ausgebildet ist, dass sie das Interesse von Käufern auf dem Arbeitsmarkt findet.

Die Kosten des Nachwuchses der Arbeitskräfte müssten also im Lohn enthalten sein. Der Lohn müsste die Reproduktionskosten der Arbeitskraft decken. Nicht nur die tägliche Wiederherstellung der Arbeitskraft des Lohnarbeiters selbst, sondern auch die Wiederherstellung des Arbeitskräftepotentials insgesamt.

Das Kapital hat aber das Interesse, die Löhne möglichst weit unter die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft zu drücken. Das steigert die Profite. Hartz IV wirkt trotz seines Elendsniveaus immer noch wie ein Stachel im Fleisch der Profitgier. Hartz IV erinnert daran, dass der Lohn für viele Millionen Lohnarbeiter nicht ausreicht, um ihre Kinder großzuziehen. Die Käufer der Arbeitskraft spüren den Druck auf Lohnerhöhungen, der davon ausgeht. Sie streben deshalb über ihre politischen Parteien danach, die Regelsätze insgesamt zu senken, um den Druck (oder im Marketingdeutsch, den Anreiz) zu erhöhen, für Armutslöhne zu arbeiten. Dieses Interesse haben SPD, CDU/CSU, die Grünen und die FDP mit Hartz IV wenigstens ansatzweise befriedigt.
Kinder sind ein lästiges Problem für das Kapital, weil sie im Lohn berücksichtigt werden müssten, aber noch nicht die Eigenschaft haben, Kapital zu vermehren. Stattdessen bedrohen sie die Vermehrung von Kapital. Das Kapital strebt, wie auch die Christenparteien CDU und CSU, eine Senkung des Eckregelsatzes um mindestens 25% an. Damit würden auch die Regelsätze der Kinder um 25% sinken. Angesichts dessen war es ein "Erfolg", dass die Regelsätze mit Einführung von Hartz IV nur indirekt gesenkt worden sind und die Regelsätze für Schulkinder "nur" um zehn Prozent.
Angeblich dient die Senkung der Kinderregelsätze der Bekämpfung der Faulheit der Eltern. In Wirklichkeit streben die Käufer der Ware Arbeitskraft danach, den Einkaufspreis für diese Ware zu senken. Das moralisch empörte Geschrei über die asozialen Eltern, die nicht arbeiten wollen, weil sie Kinder haben, verdeckt das rücksichtslose Eigeninteresse des Kapitals, das mit den Unterhaltungskosten für Kinder, d.h. für den Nachwuchs an Arbeitskräften, am liebsten nichts zu tun haben will.
Die Senkung von Löhnen wird als notwendig verkauft, um Arbeitsplätze zu schaffen. Umso notwendiger wird dann die Senkung der Hartz IV-Leistungen. "Reguläre Arbeit muss sich mehr lohnen als bisher. Dem stehen die derzeitigen Regelungen des Arbeitslosengelds II entgegen. ... Anreize zur Schaffung neuer Stellen zu erhöhen (,...) kann (wirksam) ... nur mithilfe einer Absenkung des Regelsatzes ... geschehen." (8) Sozial ist, was Arbeit schafft.
Regelsatzsenkungen sind also sozial. Die bisherigen Kürzungen reichen vom Standpunkt des Kapitals bei Weitem nicht aus.

Die Kürzungen bei Schulkindern aus Hartz IV-Familien zeigen auch, dass das Interesse des Kapitals am Nachwuchs der Arbeitskräfte aus Armutsfamilien sinkt. Aufgrund wachsender Arbeitsproduktivität und der Ruinierung von Klein- und Mittelunternehmen durch Banken und Konzerne sinkt die Nachfrage nach Arbeitskraft vor allem von ArbeiterInnen und damit auch die Nachfrage nach ihrem Nachwuchs. Es geht deshalb auch darum, die staatlichen Unterhaltungskosten für die überflüssig gewordenen Kinder zu senken und sie gewissermaßen billiger abzuschreiben.
Hier regiert nicht die Verantwortung vor Gott, die Merkel ihrer Selbsteinschätzung nach umtreibt, sondern die Verantwortung vor dem Kapital.
Es ist auch nicht die Unkenntnis über das Leben mit Hartz IV, die Sozialdemokraten und Christen zu den Kürzungen geführt hat. Sie vertreten die Interessen der Käufer der Ware Arbeitskraft. Diese Interessen kennen kein Mitleid oder Gefühle für Arme. Renditen sind herzlos.

V) Desinteresse an Kindern aus Armutsfamilien
Das Desinteresse an Schulkindern aus Hartz IV-Familien ist unübersehbar. Es drückt sich nicht nur in der mehr als zehnprozentigen Kürzung der Leistungen für sie aus, sondern auch in den zaghaften Korrekturen, zu denen sich die Hartz IV-Parteien gezwungen sahen, um sich und ihre Rücksichtslosigkeit aus der Schusslinie zu nehmen.

Zuschüsse zum Mittagessen in Schulen mit Ganztagsbetrieb
Drei Jahre sind vergangen und noch immer gibt es in mehr als zwei Dritteln der Bundesländer keine Landeszuschüsse zum Mittagessen in Schulen mit Ganztagsbetrieb. Ein Gesetzesantrag des Saarlandes für eine bundesweite Regelung schmort seit eineinhalb Jahren in den Schubladen des Bundesrats.
Die durchschnittlichen Kosten eines Mittagessens übersteigen deutlich die pro Tag für Nahrungsmittel insgesamt zugestandenen Beträge. Das Problem ist eingestanden, soll aber möglichst auf die lange Bank geschoben werden.
In Hessen ist ab 1.1.2008 ein Härtefonds beschlossen, den es offensichtlich bis jetzt noch gar nicht gibt.
Den Bedarf möglichst lang hinauszögern, war auch die Devise in Frankfurt. "Kein Kind soll von einem Essen ausgeschlossen werden, weil es sich seine Eltern nicht leisten können." So die grüne Bildungsdezernentin Ebeling aus Frankfurt. (FAZ 07.09.2007)
Dennoch wollte die Stadt von der Zusage, das Mittagessen zu bezuschussen, bis zur Einführung des Zuschusses ursprünglich zehn Monate verstreichen lassen.

Übernahme von Schulkosten
Die Gesetzesinitiative von Rheinland-Pfalz für eine Lernmittelpauschale von 7 bzw. 9 Euro mtl. ruht friedlich im Bundesrat. Ein Einschulungsfonds wird von der SPD für 2009 angedacht. Die Christenpartei ist dagegen.
In einem Bruchteil von Kommunen sind kommunale Schulfonds erkämpft worden, aus denen Lernmaterialien und teilweise auch Einschulungskosten bezahlt werden, die der Bund mit Hartz IV gestrichen hat.
Der schwarz-grüne Magistrat von Frankfurt, der Stadt der Großbanken, verzichtete zwar auf 70 Mio. Gewerbesteuer jährlich, hält aber eine Million Euro für einen kommunalen Schulfonds für unbezahlbar und fordert dazu auf, einen Schulfonds zu gründen, der ausschließlich aus privaten Spenden finanziert wird.

Die Medien unterschlagen in der Regel alle Forderungen, die über diese weniger als halbherzigen Hilfslösungen hinausgehen. Die Aberkennung des Wachstumsbedarfs von Schulkindern darf kein Thema werden.

VI) Vorschläge, Kinderarmut zu bekämpfen
a) Kinderzuschlag
Für die Bundesregierung steht der Kinderzuschlag an erster Stelle, besser Kindergeldzuschlag. Das Kindergeld wird damit für den Teil der Hartz IV-Familien erhöht, in denen die Eltern arbeiten, von ihrem Lohn aber nur sich selbst ernähren können, nicht ihre Kinder. Der Zuschlag beträgt 140 Euro, so dass das Kindergeld insgesamt 294 Euro beträgt. Der Zuschlag wird befristet bezahlt und soll dem "Kampf gegen die Kinderarmut" dienen. (SZ 06.02.2008) Von den rd. 2,3 Mio. Kindern unter 18, die zur Zeit von Hartz IV leben, sollen 150.000 in den Genuss des Zuschlags kommen. Die anderen Kinder sollen in der Kinderarmut verbleiben. Der "Kampf gegen Kinderarmut" ist reine Kosmetik.
Mit dem Kinderzuschlag kommt man zwar aus dem Hartz IV-Bezug heraus (ein Vorteil für die Aufstocker, die damit nicht mehr den Schikanen der Behörden unterliegen). Das Einkommensniveau ist aber in etwa dasselbe wie bei Hartz IV. Bei Einführung des Kinderzuschlags mit dem SGB II stand in der Gesetzesbegründung, dass dadurch der durchschnittliche Bedarf von Kindern an Arbeitslosengeld bzw. Sozialgeld abgedeckt werden soll. (9) Der Kindergeldzuschlag soll also nur das gekürzte Hartz IV-Niveau von Kindern abdecken. Eine Form der Kinderarmut ersetzt die andere.
Statt dem Kinderzuschlag ist eine deutliche Erhöhung der Regelsätze zu fordern.

b) Kindergeld
Die Bundesregierung operiert mit dem Kinderzuschlag auf der Blaupause, die die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände liefert. Diese fordert seit Jahren eine Erhöhung des Kindergelds für alle auf 300 Euro. "Ein höheres Kindergeld sorgt bei Eltern mit Kindern ... dafür, dass sich für sie die Aufnahme einer - auch gering bezahlten - Arbeit lohnt." (Presse-Information 09.01.092 PI 02/02) Das jetzige Kindergeld deckt mit seinen 154 Euro nur etwa die Hälfte des offiziellen Existenzminimums von Kindern, das auf 300 Euro beziffert wird. Das Kinderexistenzminimum setzt für alle Kinder unter 18 dengleichen Bedarf an, obwohl der Bedarf umso höher wird, je älter die Kinder werden.
Wenigstens der das Kindergeld von 154 Euro übersteigende Betrag müsste im Lohn enthalten sein, ist es aber oft nicht. Würde das Kindergeld die vollen Reproduktionskosten des Nachwuchses der Arbeitskräfte aus Steuermitteln abdecken, könnte das Lohnniveau entsprechend gesenkt werden. Es handelt sich beim Kindergeld um eine Lohnsubvention. Sie wird von den sondern von den Verkäufern der Ware Arbeitskraft aufgebracht, seien sie beschäftigt, erwerbslos oder in Rente, nicht von den Käufern.
Das Kapital verlangt damit faktisch die völlige Vergesellschaftung der Kosten der Produktion des Nachwuchses an Arbeitskräften. Allerdings besteht es nach wie vor darauf, dass es den Mehrwert, den die von der Gesellschaft kostenlos gelieferten Arbeitskräfte produzieren, in seine privaten Taschen fließt.
Wenn das Existenzminimum von Kindern mit steuerfinanziertem Kindergeld abgedeckt werden soll, dann wenigstens so, dass die Käufer der Ware Arbeitskraft dafür in vollem Umfang kollektiv aufkommen und sich die Verkäufer der Ware Arbeitskraft nicht selbst subventionieren.

c) Kindergrundsicherung als Menschenrecht
Die Bundestagsfraktion der Linken trat im Mai 2007 dafür ein, dass alle Eltern für Kinder unter 18 Jahren ein einheitliches Kindergeld von 250 Euro bekommen. (Klar Mai 2007, 5) Sie tat dies, ohne den Charakter des Kindergelds als Lohnsubvention offenzulegen.
Die Linke forderte damals ferner, dass das erhöhte Kindergeld nicht auf Hartz IV angerechnet werden soll. Die Nichtanrechnung des Kindergelds von 250 Euro würde zu einem Bedarfsniveau von 458 Euro pro Kind unter 14 führen. Es wäre höher als der Regelsatz der Eltern, selbst wenn dieser auf 420 Euro für ein Elternteil bzw. 336 Euro für jedes Elternteil erhöht würde. Mit Bedarfsdeckung hat das nichts mehr zu tun. Das Leistungsniveau für Kinder muss in einem angemessenen Verhältnis zum Leistungsniveau für die Eltern stehen. Der Bedarf von Säuglingen ist nicht höher als der ihrer Eltern.
In anderen Verlautbarungen erklärte die Linksfraktion: "Alle Kinder unter 18 Jahren sollen in Zukunft ein Kindergeld erhalten, das ihnen in voller Höhe zugutekommt. Gleichzeitig wollen wir den Kinderzuschlag zu einem einkommensabhängigen Instrument ausbauen, das jedem Kind mindestens den Zugang zum Existenziminimum von 420 Euro garantiert." (Vorwärts 13.April 2007)
Die Folge dieser Vorschläge wäre, dass die Reproduktionskosten für den Nachwuchs der Ware Arbeitskraft in noch stärkerem Maße aus dem Lohn herausgenommen werden könnten. Das bedingungslose Grundeinkommen für alle Kinder läuft aus dasselbe hinaus wie das Kindergeld für alle, das die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände anstrebt.
Die Vorschläge zur "Bekämpfung der Kinderarmut" zeigen, dass die Lohnarbeit die Reproduktion der Arbeitskräfte in wachsendem Maße nicht mehr gewährleisten kann.
Die langfristig sinkende Nachfrage nach Arbeitskraft führt dazu, dass Löhne die Tendenz haben, mehr und mehr unter das Existenzminimum zu fallen und damit die Reproduktion der Arbeitskräfte zu untergraben. Der Druck auf Lohnsenkungen und damit das Wachstum der Kinderarmut ist auf der Basis der Kapitalverwertung vorprogrammiert.

Die wichtigste Ware, die es im Kapitalismus gibt, die einzige Ware, die mehr Wert erzeugt, als sie kostet, muss deshalb in wachsenden Maße staatlich subventioniert werden. Was angesichts dessen Neoliberalismus heißt, mag sich jeder selber überlegen. Müntefering jammerte: "Kinder fallen in Armut, weil es sittenwidrig niedrige Löhne gibt. Damit finden wir uns nicht ab." (FR 19.09.2007) So ein Quark. Die Sittenwidrigkeit ist nicht das Problem. Sie ist nur dann gegeben, wenn Löhne ein Drittel unter Tarifniveau liegen, bei Zeitarbeit z.B. unter 5 Euro. Aber auch bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro, einem Lohnniveau, das Müntefering für viel zu hoch hielt, wäre im Lohn kein Cent für Kinder enthalten. Die SPD kennt keine Hemmungen, sich damit abzufinden. Das Kapital hat sie ja auch nicht.

Es ist notwendig, kleine Forderungen aufzustellen, die die Lage der Kinder aus Armutsfamilien verbessern. Solche Forderungen sind * die Wiedereinführung von einmaligen Beihilfen für notwendige Schulkosten, aber hilfsweise auch kommunale Schulfonds.
* Die Bezuschussung von Mittagessen in Schulen mit Ganztagsbetrieb, aber auch in KiTas, wenigstens bei dem Eigenanteil für das Mittagessen, der im Regelsatz auch enthalten ist. 79 Cent sind enthalten. In KiTas werden häufig erheblich höhere häusliche Ersparnisse verlangt.
* Die Rücknahme der Kürzung der Regelsätze für Schulkinder.
* Noch wichtiger aber ist die allgemeine Erhöhung aller Regelsätze, nicht nur die der Kinder, sondern auch die Eltern. Die GEW fordert die Anhebung des Eckregelsatzes auf mindestens 500 Euro. Für Kinder unter 14 würden dann 300 Euro und für die zwischen 14 und 17 400 Euro herauskommen.
* Regelsatzerhöhungen dürfen nicht isoliert von Lohnforderungen vertreten werden. Ansonsten fordert man objektiv Lohnsubventionen.
Ein gesetzlicher Mindestlohn von zehn Euro würde im Durchschnitt über dem Hartz IV-Niveau eines Vollzeiterwerbstätigen liegen, auch wenn der Eckregelsatz auf 500 Euro erhöht würde.
* Da ein wachsender Teil der Löhne die Reproduktionskosten von Kindern nicht deckt, müssten das steuerfinanzierte Kindergeld wenigstens bei lohnabhängig Beschäftigten vom Kapital insgesamt über eine Umlage bezahlt werden, nicht von den Lohnabhängigen selbst.

Wenn Forderungen aufgestellt werden, dann sollte nicht das Weihrauchfass der sozialen Gerechtigkeit geschwenkt werden. Auch 500 Euro Regelsatz ermöglichen jemanden, der für überflüssig erklärt wird, keine menschenwürdige Existenz. Auch zehn Euro Mindestlohn machen die Existenz eines Menschen nicht menschenwürdig, der vom unsicheren Verkauf seiner Arbeitskraft auf einem Markt lebt und vom Profitstreben der Käufer abhängt.
Lohnsklaverei und Menschenwürde sind zwei paar Schuhe.
Von einem gerechten oder fairen Lohn zu sprechen, der nicht einmal die Unterhaltungskosten von Kindern abdeckt, ist eine Beschönigung. Zumal ja bekanntlich Arbeit von LohnarbeiterInnen der Verwertung von Kapital dient und nur dann bezahlt wird, wenn wesentlich mehr unbezahlte Arbeit abgeliefert wird. Kapital ist die Verkörperung unbezahlter Arbeit. Wer das für gerecht hält, hält Ausbeutung für gerecht.
Und das sollten wir doch den Vertretern des Kapitals überlassen.



(1) Irene Becker, Bevölkerungsgruppen unterhalb der Alg II-Grenze, Frankfurt 2006, 37 Tab.8

(2) Bremer Institut für Arbeit und Jugend:sgb2-kinder-062007rev.pdf, korrigiert um die Dunkelziffer

(3) Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der Antwort vom 2.Juli 2007 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 16/5699, 5

(4) Mathilde Kersting und Kerstin Clausen, Wie teuer ist eine gesunde Ernährung für Kinder und Jugendliche? Die Lebensmittelkosten der Optimierten Mischkost als Referenz für sozialpolitische Regelleistungen, Ernährungs-Umschau 9/2007, 508 ff.

(5) Rainer Roth, Harald Thomé, Leitfaden Alg II/Sozialhilfe von A-Z, Frankfurt 2006, 229

(6) umgerechnet auf diese Altersklassen nach Margot Münnich, Einkommensverhältnisse von Familienhaushalten und ihre Ausgaben für Kinder, Wirtschaft und Statistik 6/2006, 654

(7) Antwort des BAMS auf eine Kleine Anfrage der LINKEN vom 2.Juli, 6, siehe (3)

(8) Sachverständigenrat der Bundesregierung für gesamtwirtschaftliche Entwicklung, Mitteilung für die Presse, 08.09.2006

(9) Rainer Roth, Harald Thomé, Leitfaden Alg II/Sozialhilfe von A-Z, Frankfurt 2006, 171



Startseite Aktionsbündnis Sozialproteste